Sonnenschuss 2022 – Die Energie der Freiheit!

Sonnenschuss 2022 – Die Energie der Freiheit!

Ein spannender Reisebericht unseres Club-Mitglieds Henrik Ewers, halbtrocken Platu 25 GER 396


Sonnenuntergang vor Westermakelsdorf

Gefühlt habe ich mich ein Jahr auf den 3. Neustädter Sonnenschuss vorbereitet. Mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der daraus resultierenden Energiekrise kam mehr Arbeit auf mich als selbstständiger Energieberater für Gebäude zu, als ich bis dahin im Kalkül hatte. Immer mehr Menschen wollten sich nun von Energieimporten unabhängig machen und fragten nach Beratung. Schnell wurde mir klar, dass ich unten diesen Gegebenheiten meinen Trainingsplan für den 3. Sonnenschuss auf keinen Fall einhalten würde. Eine Woche vor dem Start war ich gerade mal bei 30% von meinem eigentlichen Trainingsziel angekommen.
Was mich in den Wochen zuvor umgetrieben hatte – hier sei es verraten – war nämlich der Versuch, möglichst energiesparend zu segeln.

Ich konnte meinen Bootstrimm und die Gummiband-Selbststeueranlage so weit optimieren, dass mein Boot am Wind, mit viel Schieflage auf der Kante, praktisch von alleine fährt. Die Technik habe ich mehr durch Zufall beim 2. Sonnenschuss entwickelt. Timo Manske vom LYC hatte mich letztes Mal ja an der letzten Tonne überholt und ich musste noch völlig entkräftet, wegen dem Frühstart einen Vorsprung von mindestens 30 Minuten raussegeln.

Mein Geschwindigkeitsrekord lag beim letzten Training bei 7,2 Knoten am Wind. Meine Reichweite lies mit 30 Seemeilen aber noch zu wünschen übrig. Am Tag vor dem Start war ich noch zum „moralischen“ Briefing bei meiner segel- und regattaerfahrenen Mutter. Ich hatte sie ja schon in einer der vorhergehenden Mitteilungen kurz vorgestellt. Ihr Rat fiel wie zu erwarten aus: „Wenn wir Ewers starten, fahren wir auch durch das Ziel!“ Mit dieser „Mission“ im Gepäck war klar: kneifen geht gar nicht. Und so wurde mein persönliches Sonnenschuss-Motto geboren: „Ankommen ist wie gewinnen“.

Vom Startschiff aus begrüßte mich Rika mit den Worten „Hast du auch genug Proviant dabei?“ „Wenn nicht, beeile ich mich!“ war meine Antwort und dachte, die sind ja alle besorgt um mich. Ich hatte erst am Vorabend zwischen dem Check-in bei Rika und der „Steuermann Besprechung“ für den Langstrecken Törn eingekauft.

Mit am Start habe ich erst einmal das Teilnehmerfeld abgescannt und überschlagartig meine Chancen ausgerechnet: waren zwei Lübecker vom LYC, die mit ihren Classe Mini 6.50 Booten vermutlich beim Kreuzen nicht mithalten können würden.
Ein „Greifswalder“ war mit der MATRIX, einer X79, auch dabei. Der war eine gewisse Unbekannte für mich. Nach dem Start musste ich gleich mal feststellen, dass er ein wenig schneller war und sogar noch mehr Höhe laufen konnte als ich.

Alle Wetter! Mein Ehrgeiz war geweckt.

Und so lief es für mich nach dem Start alles nach meinem „Reiseplan“. Mich überkam das gute Gefühl, den „Greifswalder“ hinter mir gelassen zu haben. Das Stück in Richtung Osten, zwischen der Tonne 9 und der Ansteuerungstonne Wismar, war für mich am angestrengtesten, mit Vollzeug gegenan.

Inzwischen zogen Leif und sein Partner mit der Lucky 5 vom NSV an mir vorbei und noch ein paar andere Boote waren auch schneller unterwegs als ich, die ich nicht kannte. Das konnte mich nicht aus der Ruhe bringen, mein Motto war gesetzt. Danach ging es mit 6,9 Knoten am Wind auf die Startbahn in Richtung „Sonneninsel“ Fehmarn. Mein Ziel war es, bis zum Sonnenuntergang bis Westermakelsdorf zu kommen und ein paar schöne Fotos zu machen. Irgendwas muss man ja gegen das Alleinsein tun.

Ab Puttgarden hatte ich bereits mehr als die Hälfte der Stecke geschafft und von da an gab es auch wirklich kein Zurück mehr für mich.

Vor mir fuhr ein Typ mit Spi. Ich musste abwägen, auch zu spinnackern, oder doch lieber Kräfte sparen? Ich entscheid mich für Letzteres und hatte so eine Hand frei, um Fotos zu machen. Leider war vor der malerischen Sonne kein Teilnehmer bereit einen „Sonnenschuss“ zu fahren. Das müssen wir noch mal besser abstimmen!


Sonnenuntergang – wer erkennt sich wieder?

Beflügelt von den Bildern ging es für mich schnell durch die Nacht und unter der Fehmarn Sund Brücke durch. Die vorhergesagte Flaute holte mich zwar ein, allerdings erst später in der Nacht. Ich dümpelte so vor mich hin. „Energieexperten“ sprechen dann von „Dunkelflaute“. Das ist ein Zustand, in dem so gut wie keine regenerativen Energien gewonnen werden können, weil weder Wind- noch PV-Anlagen Strom produzieren. Für meine persönlichen Energiereserven war das Dösen am Steuer allerdings 100 % regenerativ.


Sonnenaufgang nach der „Dunkelflaute“

Nach Sonnenaufgang stellte sich eine leichte Brise von Land ein, mit der ich langsam weitersegeln konnte, mit Wind aus West. Hatte meinen Spi doch für Wind von Ost vorbereitet! Das musste nun auch so bleiben, jede Bewegung an Bord hätte zu viel sein können. Und so schaukelte ich einfach langsam und kräftesparend in Richtung Grömitz weiter. Die Hoffnung sinkt ja bekanntlich zuletzt, der Ostwind würde schon noch kommen…

Insgeheim hatte immer noch die Sorge, die Lübecker könnten mich einholen. Der Überblick über das Regattafeld, muss ich gestehen, war mir wohl irgendwann abhandengekommen. Aber dann war es soweit! Der Wind kam aus der vorhergesagten Richtung und ich konnte den Spi zum Einsatz bringen.

Vor Pelzerhaken musste ich halsen, um in Richtung Neustadt abzubiegen. Im Kopf bin ich das Manöver viele Male durchgegangen, aber das nötige Training fehlte mir und meine Konzentration war nach der langen Strecke auch nicht mehr die Beste. So habe ich nach zwei misslungenen Versuchen den Spi einfach geborgen und bin bis ins Ziel mit Groß und Fock gesegelt. Mein Vorsprung reichte zum Glück noch aus, und die zwei Lübecker Olav Arne Nehls und Timo Manske vom LYC kamen kurz nach mir ins Ziel. Über ihre Glückwünsche habe ich mich sehr gefreut, auch wenn es mir ja eigentlich nur ums Ankommen gehen sollte…..

Als ich nach 111 Seemeilen, einem Tag und einer Stunde wieder im Rundhafen von Neustadt angekommen war, war mein Proviant durch die Flaute ziemlich aufgebraucht. Zu meinem Glück hatten meine Liegeplatz Nachbarn Birgit und Tammo bereits den Frühstückstisch gedeckt – wieder willkommen auf der Piccolo. Vielen Dank dafür!

Wie sich bei der „Preisverleihung“ herausstellte, war ich dieses Mal als zweiter in der Gruppe 1 angekommen. Der „Greifswalder“ – auch ein Lübecker, wie ich erfahren habe – hatte sich doch tatsächlich schon an der ersten Tonne an mir „vorbeigemogelt“. Aber das war nun wirklich egal, ich habe mich für die gefreut, ankommen ist eben doch wie gewinnen!

Henrik Ewers, halbtrocken Platu 25 GER 396

P.S.

Dieser Bericht wurde in den Dezember 2022 Mitteilungen vom Neustädter Segelverein e. V. veröffentlicht.
36 Boote, davon 12 Singlehand, gingen am 12.08.2022 beim 3. Neustädter Sonnenschuss an den Start. Für die Bahn rund Hannibal, rund Fehmarn mit ungefähr 100 nm waren die Segler und Seglerinnen zwischen gut 16 und 26 Stunden unterwegs, 3 mussten die Wettfahrt leider abbrechen.